Tag der Prekären Arbeit: Der 1. Mai 2017 in Stuttgart

Pressespiegel

Selbstständig in die Armut (plusminus, ARD) - Sehr informativer 6minütiger Fernsehbeitrag. Unter anderem sind Stuttgarter Lehrkräfte zu sehen, die am 1. Mai 2017 für bessere Arbeit demonstrieren.

Tag der prekären Arbeit (Lift - das StuttgartMagazin) - Die lokale Zeitschrift greift anlässlich des Ersten Mais noch einmal die Doku "Harte Arbeit, schlechter Lohn" auf, die bereits im April im SWR ausgestrahlt worden war.

Bericht

Stuttgart, 01.05.2017, von Helen Bärlin (Bündnis DaF/DaZ-Lehrkräfte, Landesarbeitskreis DaF der GEW BW)

 

"Für Integration, die klappt" - so lautete eines der Mottos für die diesjährige DGB-Demonstration am Tag der Arbeit. In Stuttgart nahmen dies einige Lehrkräfte für Deutsch als Fremdsprache zum Anlass, sich zusammen mit anderen Weiterbildner*innen mit einem eigenen Transparent zu beteiligen. Trotz des schlechten Wetters sammelten sich knapp 20 Lehrkräfte aus der Erwachsenenbildung um das Plakat mit der Aufschrift "Fair statt prekär: Gute Arbeitsbedingungen im Integrationskurs und in der Weiterbildung". Sie kamen von mehreren Volkshochschulen der Region, einer Universität und einem privaten Sprachenanbieter zusammen. Gemeinsam ist ihnen eines: Sie arbeiten unter prekären Bedingungen als Honorarlehrkräfte.

 

Eine Szene aus der Dokumentation "Harte Arbeit, schlechter Lohn" (SWR): Clarissa Haziri bereitet sich auf den morgigen Unterricht vor: Sie soll den Migrant*innen in ihrem Deutschkurs das Thema "Sozialstaat" nahebringen. "Hier wird gezeigt, dass es eine soziale Absicherung gibt, dass man bei Krankheit, Unfall, Elternschaft oder Arbeitslosigkeit nicht fallen gelassen wird", erklärt sie, während sie das Lehrbuch durchblättert. Es ist nur ein Kapitel des Integrationskurses, in dem die Klasse Deutschkenntnisse sowie grundlegende Landeskundekenntnisse aufbaut. Gefördert und beauftragt wird der Kurs vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das Bizarre an der Situation: Haziri selbst steht als Honorarlehrkraft in vielerlei Hinsicht außerhalb des Sozialstaats, den sie hier vermitteln soll.


Wird Integration durch Desintegrierte geleistet? Während Integration schon seit geraumer Zeit ein großes Thema in Medien, Politik und Öffentlichkeit ist, wird kaum darüber gesprochen, unter welchen Arbeitsbedingungen die hauptberuflichen "Integrationsarbeiter*innen" tätig sind. Der Deutschunterricht für MigrantInnen, der immer wieder als "Schlüssel zur Integration" bezeichnet wird, ruht in den allermeisten Fällen auf den Schultern von Honorarlehrkräften, also Freelancern. Sie sollen "frei von Weisungen" sein, dafür aber das "unternehmerische Risiko" (Krankheit, Kursausfall) selbst tragen und ihre Sozialversicherung in voller Höhe bestreiten. Um dies alles abzudecken, müssen die Honorare von Selbstständigen weit über den Stundenlöhnen von Arbeitnehmer*innen liegen. Ist das Honorar zu gering kalkuliert, hat dies fatale Auswirkungen: Lehrkräfte schleppen sich auch krank zur Arbeit, sparen am Erholungsurlaub und arbeiten teilweise weit über eine normale Wochenarbeitszeit hinaus. Immer häufiger berichten Medien auch darüber, dass es gerade unter Selbstständigen eine selten wahrgenommene Gruppe Menschen gibt, die sich die hohen Beiträge zur Krankenversicherung nicht leisten können.

Obwohl viele Honorarkräfte in der Weiterbildung indirekt im Auftrag des Staates tätig sind - zum Beispiel im Integrationskurs für Zuwanderer oder in der beruflichen Fortbildung -, ist gerade in der Weiterbildung die Kombination von Selbstständigkeit und niedrigen Honoraren weit verbreitet. Unter solchen Bedingungen entstehen wirtschaftliche Abhängigkeiten zum Auftraggeber, gleichzeitig genießen Honorarkräfte eben gerade keine klassischen Arbeitnehmerrechte wie Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung bei Krankheit, Mutterschutz oder Vertretung durch einen Betriebsrat. Tarifverträge sind äußerst selten, der gesetzliche Mindestlohn gilt nicht. Die Sonntagsreden von der Wichtigkeit des "lebenslangen Lernens" und der Integration klingen für die betroffenen Erwachsenenbildner*innen hohl.

 

Wegen dieser Arbeitsbedingungen haben einige Lehrende begonnen, sich zu organisieren. Am Tag der Arbeit prangen auf ihren Transparenten und Flyern gleich mehrere Logos: In der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat sich ein Arbeitskreis DaF gebildet, das Bündnis DaF/DaZ-Lehrkräfte ist vertreten, die DaF-DozentInnen-Initiative bewirbt den Offenen Stammtisch für DaF- und Honorarlehrkräfte in Stuttgart. Auch Clarissa Haziri, die in der Dokumentation des SWR gefilmt wurde, läuft in der Gruppe mit. "Bei unseren Gesprächen mit Politiker*innen stoßen wir durchaus auf Interesse. Wir brauchen aber keine schönen Worte, sondern konkrete Schritte zu besseren Arbeitsbedingungen“, fasst sie ihre Erfahrungen zusammen. "Über Integration zu sprechen ist gut. Integration zu finanzieren wäre besser."

 

DGB-Motto zum Ersten Mai 2017
DGB-Motto zum Ersten Mai 2017